Völkerrechtliche Grundlagen

Ein Kommentar von Ralph T. Niemeyer, Vorsitzender des Kuratoriums Deutschlandkongress

»Die Bundesrepublik Deutschland, ist ein Rechtsstaat«, so sagen es alle politisch korrekt sprechenden Menschen, wenn sie hervorheben wollen, dass die DDR ein »Unrechtsstaat« oder ein Unrechtsregime gewesen sei.

Doch dann geschah aus meiner Sicht Folgendes: Mit dem »Beitritt« der DDR entstand ein »Rechtsruck«. Dies, weil aus dem Rechtsstaat BRD ein Staat wurde, der immer Recht hat. Neben den vielen »neuen Rechten«, die die ehemaligen DDR-Bürger am 3. Oktober 1990 bekamen, kam ganz besonders das Recht des Stärkeren in den Osten. Und neben den vielen neuen Freiheitsrechten, die man den »Ossis« gab, kamen dann noch die von westdeutschen Geheimdiensten gesteuerten »Neuen Rechten« hinzu.

Ich persönlich halte das »Grundgesetz« insgesamt für eine vortreffliche Verfassung, da nicht nur die Menschenrechte und die Menschenwürde, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Verpflichtung zum Frieden und zur demokratischen Sozialstaatlichkeit in den ersten 28 Artikeln enthalten sind, sondern darüber hinaus auch Formulierungen wie »Eigentum verpflichtet«. Die allgemeine Annahme ist: Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland« gilt seit dem 3. Oktober 1990 um Null Uhr auch auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Doch bei aller Liebe zum »Grundgesetz«, so einfach ist es nicht.

REGIERUNG VERABSCHIEDET SICH VOM GRUNDGESETZ

Wir sehen nun seit über einem Jahr, dass nicht nur die »Verfassungswirklichkeit« immer eklatanter ins Autoritäre abgleitet, sondern auch, dass inzwischen das bloße Mitführen des Grundgesetzes bei Kundgebungen von Ordnungshütern, teilweise brutal, geahndet wird. Gleich so, als habe man ein verbotenes Symbol, wie zum Beispiel eine PKK-Fahne, auf eine ansonsten friedliche Demonstration mitgebracht und damit einen Vorwand für Polizeigewalt geliefert.

Angesichts der massiven Grundrechteeinschränkungen, wegen einer nicht wissenschaftlich evident nachgewiesenen »pandemischen Lage von nationaler Tragweite«, sowie der faktischen Abschaffung des »Grundgesetzes« durch das »Infektionsschutzgesetz« vom 18. November 2020 und vom 22. April 2021 ist ein Rechtsvakuum entstanden, welches den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung akut gefährdet. Verstärkt wird diese Gefährdung noch durch die De-Fakto-Aufhebung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und die juristische Konterkarierung des Föderalismus. Der Ruf nach Schaffung einer »Deutschen Verfassung« wird lauter und hat heute mehr denn je Berechtigung.

HELMUT KOHL FÜR DIE VERFASSUNG

Bei genauer Betrachtung leben wir seit dem 18. Juli 1990 bereits völlig ohne eine solche Verfassung, wenn man sich nur auf die letzte Rechtsposition in dieser Frage bezieht. Das »Grundgesetz vom 23.5.1949« gilt als »Provisorium«, quasi als Ersatz, für eine Deutsche Verfassung, wie es auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums heißt.

Deshalb hatte ich bereits am 11. Februar 1990 als Vorsitzender des Deutschlandkongresses, welchen wir am 7. Oktober 1989 in Berlin, Hauptstadt der DDR und am 10. November 1989 in Bonn-Bad Godesberg gegründet hatten, die Verfassunggebende Versammlung für das gesamte Deutschland ausgerufen. Dies tat ich nach S.H.A.E.F.-Gesetz Nr. 52, Artikel 1 vom 12. September 1944 für Deutschland in den Grenzen vom 31.12.1937, da diese, zumindest zu dem Zeitpunkt noch, völkerrechtlich unstrittig galten. Und dies tat ich nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Helmut Kohl, in welchem er den Satz sprach: »Es wird eine neue Verfassung zu schaffen sein.«

Dies wurde so gesendet von ARD und ZDF. Auch der Präsident der UdSSR, Michail S. Gorbatschow bestätigte mir in zwei Interviews zum einen, dass er von Kohl gehört habe, dass eine neue Verfassung erarbeitet werden würde und zum anderen, dass die Sowjetunion einen Friedensvertrag angeboten habe.

ALLIIERTE HOHEITSRECHTE

Was aber gilt denn heute? Am 17. Juli 1990 war ich bei den Verhandlungen in Paris zum »Zwei plus Vier-Vertrag« anwesend und bekam so mit, wie US-Außenminister James Baker den BRD-und DDR-Außenministern Hans-Dietrich Genscher und Markus Meckel mitteilte, dass neben der Aufhebung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik auch der Artikel 23 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 18. Juli 1990 um 0 Uhr gestrichen werde.

Streng genommen – und so muß man es ja in rechtlichen Fragen machen, auch wenn oft Menschen meinen, das Völkerrecht sei schwammig – war nach diesem Zeitpunkt kein Bundestag, keine Volkskammer und keine deutsche Regierung mehr berechtigt, staats- und völkerrechtliche Handlungen vorzunehmen. Ich fragte BRD-Außenminister Genscher dazu unmittelbar nach dem Treffen mit Außenminister Baker, aber dieser wiegelte ab: Das sei nur symbolisch zu verstehen, das vereinte Deutschland werde völlig souverän sein.

Dies kann aber aus mehreren Gründen nicht zutreffen, denn nicht nur gilt laut der Fußnoten zum »Zwei plus Vier-Vertrag« nach wie vor das NATO-Truppenstatut von 1957 weiter, sondern auch die S.H.A.E.F.-Gesetze (die Gesetze des alliierten Oberkommandos), die nur als »suspendiert« gelten. Und zwar solange die Bundesrepublik Deutschland nicht den Weg der Gewaltenteilung, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des Föderalismus verlässt. Alle drei Bedingungen für die Suspendierung sind durch das »Infektionsschutzgesetz«, insbesondere durch Paragraph 28 b, spätestens seit dem 22. April 2021 nicht mehr erfüllt, womit die Alliierten wieder die Hoheitsrechte ausüben könnten.

EIN BEITRITT WOHIN?

Aber: Das »Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland« galt schon vorher nicht mehr. Mit der Streichung des Artikels 23 GG zum 18. Juli 1990 – womit man sicherstellen wollte, dass »nur« die DDR und nicht eventuell noch andere Gebiete des alten Reiches in den Grenzen vom 31.12.1937 jenseits der Oder-Neiße-Linie »beitreten« würden – ist vermutlich aus Versehen eingetreten, was sich kein noch so irrer »Reichsbürger« hätte zusammenphantasieren können: Der Geltungsbereich des »Grundgesetzes« ist weggefallen.

An keiner anderen Stelle im »Grundgesetz« ist der Geltungsbereich festgeschrieben. Im ersten Semester Jura lernt man, daß es kein Gesetz ohne Geltungsbereich gibt. Wie gesagt, vermutlich ist es einfach nur der Tollpatschigkeit der eiligen euphorischen Wiedervereiniger Kohl und Genscher geschuldet, diesen Umstand nicht zu beachten . Doch das sind die Fakten.

Mich beschwichtigten beide immer wieder, dass das vereinte Deutschland ja souverän sein werde, aber meine Frage nach der Verfassung für Deutschland wurde plötzlich immer mit Verweis auf den »Zwei plus Vier-Vertrag« abgebügelt. Dabei ist auch nach Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung von 1910 ein »Grundgesetz« stets nur ein Provisorium auf Zeit und keine Verfassung. Auch wenn ich mir dieses inhaltlich durchaus wünschen würde. Deshalb ist in Artikel 146 GG geregelt, daß eine Deutsche Verfassung in freier Selbstbestimmung zu schaffen ist.

HELMUT KOHL VON EINEM VORBEIFLIEGENDEN MANTEL ERFASST

Da die BRD ihre verfassungsrechtliche Hoheit ausdrücklich auf den Geltungsbereich des »Grundgesetzes« bezog, ist von den USA durch Streichung des Artikels 23 GG die Bundesrepublik Deutschland am 18. Juli 1990 de jure, gleichwohl nicht de facto, aufgelöst worden.

Welche Konsequenzen hat dies aber für die »Deutsche Einheit«? Bundeskanzler Kohl stritt mir gegenüber stets ab, dass diese unwirksam sei. Aber man weiß ja, wie emotional gerührt der Herr stets war. Vor allem über seine eigene Rolle, wenn es dazu kam, daß »der Mantel der Geschichte« (Originalton Dr. Helmut Kohl) ihn »gestreift« hätte. Helmut Kohl interessierten stets nie die Details, sondern nur das »große Ganze«.

Im »Einigungsvertrag«, der am 28. September 1990 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, heißt es in Kapitel 1, »Wirkung des Beitritts«: »Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 werden die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland.«

Und im »Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik«, veröffentlicht im Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik am 14. August 1990 heißt es unter Punkt 1: »Mit Wirkung vom 14. Oktober 1990 werden in der DDR folgende Länder gebildet: Mecklenburg-Vorpommern durch Zusammenlegung der Bezirksterritorien Neubrandenburg, Rostock und Schwerin …« Laut Auszug des Grundgesetzes vom 3. Oktober 1990 heißt es dort aber unter Artikel 23: »aufgehoben«.

GRUNDGESETZ AUS DER WELT GESTRICHEN

Der Artikel 23 des Grundgesetzes, auf den sich der Einigungsvertrag bezieht, existierte zu dem fraglichen Zeitpunkt gar nicht. Er war »aufgehoben«. In dem aufgehobenen Artikel war der Geltungsbereich des Grundgesetzes benannt, wie man unschwer erkennen kann: Art. 23 GG: »Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern.«

Mein Kollege vom »Neuen Forum« wies in seinen Veröffentlichungen zutreffenderweise ebenfalls darauf hin, daß auf erstaunliche Weise gepfuscht wurde:

»Nachweislich ist seit der Streichung des Artikel 23 a.F. »Grundgesetz« eben dieser Paragraph am 31. August 1990, dem Tag der Unterzeichnung des »Einigungsvertrages«, nicht mehr existent gewesen, da er am 17.07.1990 gestrichen wurde. Damit kann der Paragraph 1 des »Einigungsvertrages« (Beitritt gemäß Art. 23 a.F. »GG«) wohl kaum umsetzbar gewesen sein. Das »Grundgesetz«, das seinerseits ebenfalls nie ratifiziert worden ist (!) und nur durch »faktische Unterwerfung« eine Art Gewohnheitsrecht in der »BRD« wurde (vgl. Prof. Dr. Carlo Schmid in seiner Rede im Parlamentarischen Rat vom 8. September 1948), kann aber als »Ersatzverfassung« nicht auf eine selbst ausdrücklich vorgenommene räumliche Definition seines Geltungsbereichs (wie im alten Art. 23) verzichten. Als ranghöchstes Recht hat es diese grundlegenden Bestimmungen selbst zu treffen! Dies ist derzeit nicht mehr der Fall und somit ist die vermeintliche »BRD« nur noch eine nichtstaatliche Organisation.«

KLEINSTAATEREI ALS OPTION

Die Frage mag man sich stellen: Ob denn die DDR somit noch existiere und ihre Verfassung in Wahrheit noch gelte? Rein juristisch vermutlich. Diese Schluderei, die so untypisch für uns Deutsche ist, kann teils damit erklärt werden, daß die Stimmung in der DDR nicht mehr so eindeutig für die sofortige »Niedervereinigung« gewesen war, nachdem die Luft aus dem Kessel gelassen worden war und alle mal in den Westen gereist waren und sich von »Wessis« einen überteuerten Gebrauchtwagen hatten andrehen lassen. Es musste also schnell gehen. Aber solche eklatanten Rechtsfehler im wichtigsten Rechtsakt für uns Deutsche des 20. Jahrhunderts? Bei uns regeln doch auch sonst peinlich genau die Amtsgerichte sogar die Weltgeschichte, so dass sogar die Dinosaurier die Säugetiere verklagen könnten!

De facto lebten wir allerdings die vergangenen 31 Jahre trotzdem nicht allzu schlecht mit dem »Grundgesetz«, auch wenn dies eine Illusion gewesen sein sollte. Aber wir hatten es mit Leben gefüllt und bemerken gerade jetzt, wie gut es eigentlich funktioniert hatte. So sage ich heute voller Überzeugung: Die Einheit des Mutter- und Vaterlandes steht nicht zur Disposition, aber wir wollen endlich eine völkerrechtlich anerkannte Verfassung schaffen. Freiheitlich, demokratisch und selbstbestimmt, damit wir die unhaltbaren S.H.A.E.F.-Zustände endgültig ad acta legen und einen Friedensvertrag mit allen am Zweiten Weltkrieg beteiligten Nationen schließen können, ohne alte Grenzen und Wunden wieder aufzureißen.

AUF DEM WEG ZUR VERFASSUNG

Über dreißig Jahre lang war der Deutschlandkongress inaktiv, bis zum 29.8.2020, als wir die Ausrufung gemäß Artikel 146 GG unter Beifall bei der bis heute größten Demonstration in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erneuerten. Es gab danach viele Gespräche, auch mit den zwischenzeitlich gegründeten Initiativen. Darunter stellten sich die von Ralph Boes gegründete Gruppe »Unsere Verfassung« und die von Marianne Grimmenstein betriebene »Gemeinwohllobby« als vernünftigste und realistischste dar, da diese mit entsprechender juristischer Vorarbeit hinsichtlich der obigen Aspekte, und ohne tatsächlich zurück ins Kaiserreich oder den Spiegelsaal von Versailles gehen zu müssen, mit einer einfachen völkerrechtlichen Erklärung zu 1871 umsetzbar sind.

Es gab 2021 bisher zwei Deutschlandkongress-Tagungen. Bei der zweiten am vergangenen Wochenende im alten Bonner Regierungsviertel sprachen sich alle anwesenden Mitglieder einstimmig dafür aus, in diesem Sinne eine verfassungklärende Versammlung in Form einer Konferenz des Deutschlandkongresses voraussichtlich im Mai 2025 ebenfalls in Bonn abzuhalten, um sodann basisdemokratisch einen gangbaren Weg zur VerfassunggebendenVersammlung zu beschließen.

Der Artikel wurde zuerst in der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand im Sommer 2021veröffentlicht.